[ m a d e b y e y e s ]
Kennen Sie noch Alfred Jodocus Kwak, die tapfere Zeichentrickente? Ihr mangelte es nicht an Selbstreflexion und sie fragte sich im Titelsong wiederholte Male: „Warum bin ich so fröhlich, […] so ausgesprochen fröhlich […]?“. Auch ich hinterfrage öfters meine durchaus gute Stimmungslage, für die es aus objektiver Sicht und unter Zugrundelegung der üblichen Maßstäbe doch wenig Gründe gibt. Müsste ich nicht eigentlich zu Tode betrübt mein Dasein fristen? Wenn ich abends im Bett liege, beschäftigt mich dieser Gedanke des Öfteren. Ich reflektiere dann den Tag und meine persönliche Großwetterlage, inklusive Prognose für die nächsten drei Tage. Dann ist auch ein weiteres Phänomen in dieser Situation vernehmbar: Wenn ich ruhig liege, fühlt sich das an, als wäre ich gesund. Es ist gefühlt kein Unterschied zu vormals agileren Zeiten, in denen ALS noch eine Unbekannte für mich war. Ich habe keine Luftnot und keine Schmerzen. Natürlich habe ich Muskelzuckungen, aber diese kann ich vollständig ausblenden und auch die Beatmung findet keine besondere Beachtung. Mein Geist ist wach, meine Empfindungen unbeeinträchtigt, ich liege in meinem Bett, höre das heisere Bellen der Füchse im nahen Wald und das respektable Schnarchen unserer Fellschnauze. Ich fühle mich, als könnte ich spontan selbstständig aufstehen, mich anziehen und leichten Fußes Joggen gehen. Ich weiß auch genau, wie es sich anfühlen würde und wie es theoretisch geht. Ich habe früher auf passablem Landesniveau Leichtathletik betrieben. Dadurch habe ich ein gutes Gespür für meinen Körper und eine gute Koordination. Wenn ich im Bett liege, trainiere ich zweimal die Woche in Gedanken. Ich laufe mich warm, dehne meine Muskeln, mache Koordinationsübungen, ein paar Wechselsprungläufe und ein paar Läufe über 150 Meter, locker und schön laufen, fliegen, nicht bolzen…. Ich schweife aus. Man mag es für Träumerei halten, aber es fühlt sich super an und ich habe das Gefühl, es hilft mir meine Koordination zu erhalten. Auch tanze ich in Gedanken gerne Discofox mit meiner Frau. Was soll ich sagen... ich bin dann glücklich.
Zurück aus dem gedanklichen Training und beim vergeblichen
Versuch, mich an meiner juckenden Nase zu kratzen, werde ich schnell daran
erinnert, dass ich ein paar Defizite habe, die durch Traumtänze nicht zu
beheben sind. Ich bin weit entfernt von meinem gewünschten Bild von mir selbst.
Aber das geht vielen so und betrifft in meinem Fall nur die Hülle. Viele
Menschen müssen ihr Selbstbild filtern, weichzeichnen oder inszenieren, damit
sie mit dieser Theorie vom eigenen Ich unter die Leute gehen können. Es ist
eine selbst auferlegte Vorstellung von dem, was sie sein sollten, um sich
selbst zugefallen und geliked, gemocht zu werden. Kuriose Sache, aber ich
glaube, das war schon immer so, nur nicht in diesem Ausmaß. Wir werden
oberflächlicher. Eigentlich sehen wir aus wie Alf, aber es wird so lange
posiert und gefiltert, bis wir uns wie Vin Diesel fühlen. Alf ist ein Original.
I like Alf.
Der beschriebene Kummer ist mir fern. Nicht dass es mir völlig egal ist, wie ich aussehe, aber ich will kein inszeniertes Bild abgeben, um zu gefallen. Man wird schmerzfrei, wenn einem der Speichel unkontrolliert aus dem Mundwinkel läuft. Ich kann mich doch nicht jedes Mal ärgern und mir Gedanken machen, ob es denn auch hübsch aus dem Mund läuft und dieses Bild jemand liked. Ich bin wie ich bin, denk was Du willst.
Was mich traurig macht, sind die Dinge, die ich nicht mehr machen kann, weil körperlich unmöglich, und die mir bis vor kurzem noch großen Spaß gemacht haben. Unseren Sohn in den Armen halten, bis er schläft, ihm einen Kuss geben, ihn trösten, schützen oder einfach mit ihm singen, und so vieles mehr. Auch viele Hobbies vermisse ich. Skifahren zum Beispiel. Mein Stil beim Skifahren war eher unterirdisch, von Alberto Tomba weit entfernt. Ich war eher der Alberto Tombola der Piste, keine Niete, aber da gab’s für jeden was zu schmunzeln. Ich vermisse es, weil es mich glücklich gemacht hat. Genau wie Segeln und Camping. Beides mussten wir leider aufgeben. Das ist schade und traurig, aber ich ärgere mich nicht. Ich bin dankbar und froh, dass ich es erleben durfte, und für die Erinnerung daran.
Dennoch. Es ist alles Kopfsache, auch das Empfinden körperlicher Leistungsmerkmale. Ich ärgere mich nur über die Differenz zwischen Wollen und Können. Wenn jedoch klar ist, dass das Gewünschte unrealistisch ist, muss man seinen Ärger ins Abklingbecken schicken. Der Spruch: Man kann alles, wenn man nur will, stimmt eben nicht. Der Rahmen gehört zum Bild. Natürlich hoffe ich auf ein Wunder, aber diese sind selten und außergewöhnlich. Wobei ich die Lösung des Problems ALS nicht als Wunder ansehe, denn das ist vorstellbar, aber ein Wunder wäre es, wenn es bei der unterfinanzierten Forschung zu meinen Lebzeiten passiert. Und dies ärgert mich, nicht meine Behinderung.
Jedem Menschen sind Grenzen auferlegt. Betrachten wir mal die körperlichen. Sie ärgern sich, weil Sie nicht Weltrekordhalter über 100 Meter Sprint in der Leichtathletik sind? Sehr wahrscheinlich nicht. Wenn doch, sind Sie einer der wenigen auf der Welt, die dazu tatsächlich in der Lage wären, diesen Rekord zu knacken oder Sie sollten den Ärger überdenken. Sollte Ihr Selbstbild Ihnen sagen, dass sie das Zeug dazu haben, wird es Sie in den allermeisten Fällen anflunkern. Selbst mit noch so viel Training, eisernem Willen und drei Tschaka-Yes-you-can-Coaches werden Sie es nicht schaffen. Sie glauben immer noch daran? Sie sind echt unverwüstlich. Dann Feuer frei, machen Sie es und nach Erledigung schreiben Sie mir bitte einen kurzen Kommentar hier. Und eine Bitte: Sie werden danach in die Sendung „das aktuelle sportstudio“ eingeladen. Wenn Sie vielleicht außer ihren Coaches und Ihren Eltern auch mir danken und auf meinen Blog verweisen könnten? Das wäre herzallerliebst. Wir brauchen jede Stimme für unseren Chor, denn ALS braucht mehr Aufmerksamkeit. Und beeilen Sie sich. Ich bin zeitlich etwas knapp unterwegs und weiß nicht, wie lange der Blog online ist. Mindestens ein Jahr haben Sie Zeit, bis dahin läuft der Vertrag beim Webseitenprovider. Notfalls machen Sie einen öffentlichen Nachruf, als Weltrekordhalter muss das drin sein.
Wenn Sie jetzt gedanklich bitte Katrin Müller-Hohenstein Tschüss sagen und von der Couch vom Sportstudio aufstehen wollen. Zurück ins Hier.
Wir ärgern uns in den meisten Fällen nicht darüber, dass wir vom lieben Gott mit begrenzten Möglichkeiten ausgestattet wurden. Wir haben uns damit abgefunden, uns daran gewöhnt und blühen im Garten unserer Möglichkeiten. Ähnlich ist das bei mir auch seit der Diagnose ALS vor zwei Jahren. Nur musste ich die Eingewöhnungsphase stark verkürzen. Nicht dass ich das wollte, ich musste. Es ist wie in der Kita. Es ist ein Loslassen von Vertrautem, um Neues zu entdecken und mich im Rahmen meiner Möglichkeiten optimal entfalten und entwickeln zu können. Ist die Eingewöhnung verkürzt, fließen mehr Tränen. So ist das nun mal.
Jeder von uns geht den Weg alles Irdischen. Auf dem Weg dahin werden wir nach einem frühen Zenit körperlich stets weniger leistungsfähig sein. Das lässt sich mit Glück und Disziplin hinauszögern oder temporär sogar umdrehen (in dem Fall haben wir für Gewöhnlich leider die Erstbesteigung unseres persönlichen Zenits verpasst). Aber früher oder später nagt er an uns: Der Zahn der Zeit. Wir passen unser Selbstbild kontinuierlich an, blättern ab und zu in alten Fotoalben, sagen uns freudig, was wir doch jung und voll im Saft waren, bekommen vielleicht etwas Wehmut und dann ist es aber auch gut. Fotoalbum zu. Für die jüngeren Leser: Früher klebte man Fotos in ein Buch, die sogenannten Fotoalben, und schrieb Notizen dazu, wie zum Beispiel: „Unser kleiner Usain, 6 Jahre, im Leichtathletiktraining: ,Mama, ich will mal Weltrekord laufen‘“.
Nur weil ich altere und mich verändere, fühlt sich mein und unser Leben nicht weniger lebenswert an. Mein Selbstbild ist nicht in Stein gemeißelt. Ich bin frei von Schmerzen, werde geliebt, liebe und bin wachen Geistes. Natürlich muss das am Ende des Tages jeder für sich definieren und mit sich ausmachen. Ich habe das mit mir diskutiert und bin zum Ergebnis gekommen, dass ich in Summe glücklich bin. Das macht die Lage nicht weniger beschissen, aber mich glücklicher. Ich habe einfach keine Lust meinen Fokus ständig auf die negativen Dinge zu richten. Das raubt die Zeit für die schönen Seiten des Lebens. Mir geht dieses in Mode gekommene Dauergejammer eh auf den Senkel. Ich blende die Schattenseiten nicht aus und behandele sie mit Respekt. Aber die Sonne scheint immer und deswegen schaue ich von der Sonnenseite auf den Schatten, den das Leben zwangsläufig wirft. Ob mir dieser Blickwinkel ewig vergönnt ist, kann niemand sagen, also ist es müßig, darüber nachzudenken. Gelebt wird jetzt und, da das Jetzt keinen Bestand hat, in Erinnerungen. Ich hatte bis jetzt ein tolles Leben. Deshalb bin ich so fröhlich, oder sagen wir besser: positiv gestimmt.