[ m a d e b y e y e s ]
Mit fortschreitender Krankheit steigt der Bedarf an Hilfsmitteln. Das geht bei der Erkrankung Amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS, meistens recht schnell. So bekam ich im August 2016 meine Verdachtsdiagnose ALS, war für Außenstehende zu diesem Zeitpunkt nicht erkennbar krank und musste bereits im Frühjahr 2017 das erste Mal im Rollstuhl platznehmen. Kurz darauf folgte ein elektrischer Rollstuhl, ein augengesteuerter Sprachcomputer, ein Beatmungsgerät und so weiter. Parallel dazu flogen die Pflegegrade ins Haus, mein offizieller Grad der Behinderung (GdB) schoss in die Höhe wie bei Hau den Lukas auf dem Rummelplatz und mein Bedarf an professioneller pflegerischer Unterstützung, der ständigen Überwachung meines Wohlergehens und an Alltagsassistenz wuchsen rasant an. Das ist bei der Erkrankung jetzt kein spektakulärer Verlauf und eher „normal“.
Mittlerweile hat der Teufel derart auf den Lukas eingedroschen, dass das himmlische Läuten zu einem gewohnten Dauerton wurde, wir am oberen Ende jeglicher amtlichen Grade angekommen sind und, je nach Sichtweise, der Hölle beziehungsweise dem Himmel erschreckend nahe sind. Als Hauptpreis gibt’s einen Bären zum Mitnehmen. Ich habe mich an vieles gewöhnt und überhöre das bedrohliche Bimmeln mittlerweile. Es ist schließlich nicht für die Ewigkeit sondern nur für die kurze Zeit meiner irdischen Existenz.
Seit 43 Jahren wohne ich fast ununterbrochen in direkter Nachbarschaft einer katholischen Kirche und höre auch das Läuten dieser Glocken nicht mehr bewusst - und die Katholiken läuten fleißig. Wahrscheinlich geht es Kühen in den Alpen ähnlich. Erst wenn es still wird, wird’s gefährlich. Angeblich soll das Gebimmel nicht nur das Auffinden einer ausgebüxten Kuh vereinfachen, sondern auch vor bösen Geistern und Krankheiten schützen. Das kann ich in jedem Fall gut gebrauchen. Vielleicht hätte ich präventiv schon immer eine Glocke tragen sollen. Nachher ist man immer schlauer.
Hilfsmittel können den Verlust meiner Muskulatur nicht annähernd ausgleichen. Dennoch unterstützen sie mich im Alltag und einige der Hilfsmittel geben mir Fähigkeiten, welche sehr wichtig für mich und mein Wohlbefinden sind. Ich gewinne durch sie ein Stück verlorengegangene Freiheit zurück und ich kann durch sie selbstbestimmter agieren. An dieser Stelle alle meine Hilfsmittel aufzuzählen macht glaube ich keinen Sinn, denn viele sind absoluter Standard, wie zum Beispiel ein Toilettenstuhl, den ich über die Toilette fahre, damit ich während des daily Business nicht seitlich vom Pott kippe. Diese Hilfsmittel kennt jedes noch so kleine Sanitätshaus.
Die meisten meiner Hilfsmittel zahlte die Krankenkasse. Das ging häufig anstandslos, aber auch nicht immer. Einmal mussten wir unsere Argumente vor Gericht austauschen, weil sich der Anstand bei der Krankenkasse beziehungsweise dem Medizinischen Dienst (MD) wohl losgerissen hatte. Die Richterin wurde zum Glück zügig fündig, hat die Kuh vom Eis gezogen und mir Recht zugesprochen. Da wird es mal Zeit, dass man dem MD und den Krankenkassen eine Kuhglocke verordnet, um solch langwierige Suchaktionen auf Kosten von Patienten zu verhindern oder zumindest wesentlich zu verkürzen.
Ein spezielleres Hilfsmittel als der Toilettenstuhl ist mein Rollstuhl von Permobil, mit dem ich sehr zufrieden bin. Ich nutze das Modell F5 Corpus VS. Der Rollstuhl wurde mehrfach umgerüstet, jeweils bedarfsgerecht angepasst. Er ist seit 2017 auf all meinen Wegen mein zuverlässiger, sicherer und bequemer Begleiter. Wir sind wie Pech und Schwefel und machen alles zusammen und gehen sogar zusammen zur Toilette.
Allerdings ist unser Bewegungsradius ohne ein weiteres Hilfsmittel auf die Reichweite des Rollstuhlakkus begrenzt. Ohne ein entsprechend umgebautes Auto, welches im Sinne der Krankenkassen kein Hilfsmittel ist, sind keine großen Sprünge möglich, gerade in ländlicher Umgebung. Da ich jederzeit mobil sein möchte, haben wir uns ein Auto zulegen müssen. Das ist kein leichtes Unterfangen, ein passendes, finanzierbares und zeitnah verfügbares Auto zu finden. Finanzielle Unterstützung konnten wir nicht in Anspruch nehmen, da ich mit meinem Gehalt über der Grenze liege, um diese zu erhalten. Das ist auch vollkommen in Ordnung für mich. Die Kraftfahrzeughilfe wurde 2021 wesentlich aufgestockt und ist nun eine echte Hilfe beim Autokauf beziehungsweise -umbau. Sie beträgt nun maximal 22.000 Euro, abhängig vom monatlichen Nettogehalt des Antragssteller. Zur Einordnung: Ein behindertengerecht umgebautes Fahrzeug, das auch einen großen Pflegerollstuhl aufnehmen kann und die Zulassungsvoraussetzungen für die Hilfeleistung erfüllt, kostet selbst gebraucht schnell über 40.000 Euro. Der Haken an der Sache: Die Kraftfahrzeughilfe soll Menschen mit einer Behinderung die Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen. Dementsprechend sind die Voraussetzungen. Betroffene mit der Diagnose ALS sind jedoch in den meisten Fällen nach kürzester Zeit erwerbsunfähig. Häufig schneller als die Lieferzeit eines neuen Autos. Daher fehlt die grundsätzliche Voraussetzung für diese Hilfe zu beantragen. Keine Arme, keine Kekse. Zurück zum Rollstuhl.
Da der Rollstuhl kein Schnäppchen ist und in der Liga eines neuen VW Passat spielt, sollte die Beantragung des Hilfsmittels Hand und Fuß haben, um der Krankenkasse keine Steilvorlage für eine Ablehnung zu bieten. Zudem empfehle ich eine frühzeitige Beantragung, sollte der Bedarf absehbar sein. Denn müssen Sie einen Widerspruch einlegen und je nach taktischem Geschick der Krankenkasse und dem Selbstverständnis des Auftrags des Sachverständigen des Medizinischen Dienstes, können mehrere Wochen oder Monate ins Land gehen, bis Sie Ihren berechtigten Anspruch durchgesetzt haben. Natürlich muss das nicht bei jeder Krankenkasse und jedem vom Medizinischen Dienst Gesandten der Fall sein, dass aus unberechtigten Gründen verzögert oder abgelehnt wird.
Dennoch. Ich würde mich immer rüsten und auf alles vorbereitet sein. Daher bin ich auch froh eine gute Rechtschutzversicherung im Rücken zu haben, als Fels in der Brandung. Frei nach dem Motto: Ich habe einen Drachen und werde ihn benutzen. Meine Meinung: Lassen Sie sich nichts gefallen, sollte Ihr Anspruch berechtigt und nachvollziehbar sein. Allerdings haben Sie Verständnis, wenn auch ein Sachbearbeiter der Krankenkasse nicht die Dringlichkeit und Brisanz der Diagnose ALS korrekt einordnen kann. Eine gute Beantragung, die auch diese Aspekte berücksichtigt, und auch ein ärztliches Schreiben, helfen häufig solche hinderlichen Missverständnisse zu vermeiden und sind das A und O. Wird sich dann noch unbegründet quergestellt, holen Sie den Drachen raus.
Das zweite für mich lebenswichtige Hilfsmittel, ist mein augengesteuerter Sprachcomputer. Genau genommen ist er für meine Lebensqualität wichtig. Und er ist überlebenswichtig für die Menschen in meiner Umgebung. Ein Entzug von jeder Möglichkeit, mit meiner Umwelt zu kommunizieren, führt bereits nach kurzer Zeit zu übelstem Frust bei mir, der mich innerlich dermaßen in Rage bringt, dass ich wie ein tollwütiger Bär alle Anwesenden kollektiv mit verbalen Entgleisungen watschen würde, so ich denn könnte.
Mein von mir genutzter Sprachcomputer ist vom Hersteller Tobii Dynavox. Ich nutze von diesem Hersteller mehrere Produkte, die zum Teil privat oder von meinem Arbeitgeber finanziert wurden, und bin sehr zufrieden damit. Das hauptsächlich von mir genutzte Modell ist der I12+, welches ohne größere Anstalten von meiner Krankenkasse genehmigt wurde und auch fünfstellig zu beziffern ist. Dieses Modell ist mittlerweile nicht mehr neu zu bekommen und wurde durch ein Nachfolgemodell ersetzt, welches einiges besser kann, aber nicht alles. Mein treuer Begleiter Klaus, ich habe dem Sprachcomputer damals aus Spaß einen Namen gegeben, hat wenig Rechenleistung und ist ein durchaus gemütlicher Vertreter seiner Zunft. Auch sein Display ist nicht im Highend-Bereich angesiedelt und hat einen gewissen nostalgischen Charm. Diese Kombination hat aber den Vorteil, dass der Energieverbrauch gering ist und der Akku acht Stunden Betrieb ohne externe Stromversorgung ermöglicht. Hinzu kommen ein paar liebgewonnene Steuerungselemente, die nun im Nachfolger neugestaltet wurden. Diese haben zwar auch ihre Vorteile, insbesondere für Neueinsteiger in die Augensteuerung unter Windows, aber als gefühlter routinierter Poweruser, bin ich persönlich um ein Vielfaches schneller mit Klaus unterwegs. Ich gehe an dieser Stelle nicht weiter ins Detail, es soll ja kein Technikbericht werden. Klaus hat eine klare, relativ normal klingende Stimme und kann lautstark sein. Es empfiehlt sich auch hier, wenn der Bedarf absehbar wird, eine zeitige Beschaffung, damit man nicht nach Worten suchen muss, die einem zwar auf der Zunge liegen, die das Auge aber auf dem Sprachcomputer nicht findet, wenn es drauf ankommt. Ersparen Sie sich diesen Frust. Übung macht den Meister.
Ein absolutes Spitzenprodukt und Hilfsmittel, auch von den Kosten, ist ein Roboterarm am Rollstuhl. Diesen empfehle ich bei Bedarf früh zu beantragen. Ich nutze den Arm der Firma Kinova. Ein wirklich geniales Teil, dessen Steuerung aber nicht zu unterschätzen ist und Übung erfordert. Gesteuert wird er über die Steuerung des Rollstuhls und solange Sie dies noch, egal mit welchem Körperteil, mit einem Joystick können, ist die Steuerung wesentlich einfacher. Denn wenn Sie das nicht mehr können, bleiben Ihnen womöglich nur noch die Augen, um Ihren Rollstuhl und somit auch den Roboterarm zu steuern. Ich spreche hier aus Erfahrung. 2021 wurde meine Steuerung komplett auf eine Augensteuerung umgestellt und es braucht einiges an Übung, um über mehrere Runden am Stück im Mikado-Spielen einen Punktsieg einzufahren oder beim Tischtennis die Vorhand mit Topspin zu spielen. Wo wir beim nächsten Hilfsmittel wären, das selten anzutreffen ist.
Da ich mittlerweile weder meine Arme und Hände noch meine Beine und Füße zum Steuern des Rollstuhls verwenden kann und auch mein Kopf und mein Mund dafür keine Kraft mehr haben, bleiben mir nur noch meine Augen. Ich nutze zum Steuern jetzt eine spezielle Brille. Diese nutze ich überwiegend im Freien, da sie auch bei Sonnenschein zuverlässig funktioniert. Im Haus steuere ich den Rollstuhl über Klaus.
Steuern bedeutet nicht nur das Fahren, sondern auch um sämtliche Einstellungsmöglichkeiten am Rollstuhl wie zum Beispiel Sitzverstellung, Licht, Bluetooth und so weiter zu nutzen. Selbstständig agieren zu können, ist ein unglaublich befreiendes Gefühl und zudem schmerzlindernd, da ich meine Sitzposition direkt bei Bedarf auf den Millimeter passend einstellen kann. Hersteller ist die Firma Homebrace. Eine sehr nützliche Möglichkeit hat dieser Hersteller auch mit im Gepäck, nämlich die Möglichkeit, dass ich Klaus oder mein Microsoft Surface mit Augensteuerung über den Akku vom Rollstuhl lade. Zudem gibt es von Homebrace eine gute Halterung für den Sprachcomputer. Die Halterung hat den Vorteil, dass sie an der Rückenlehne montiert ist. Egal wie ich die Sitzposition ändere, der Blickwinkel zum Tablet bleibt gleich. Zudem kann ich es hochklappen, um ein freies Sichtfeld zu haben, und kann es dann zur Nutzung wieder tiefer einrasten, um das Tablet zu bedienen. So einfach und doch so gut.
Wenn auch viel übernommen wurde durch die Krankenkasse, so sind doch einige Sachen privat finanziert. Das hat unterschiedliche Gründe. Zum einen waren mir die Prozesse zu langwierig, denn ich benötigte den Kram direkt, und zum anderen wusste ich, dass das Hilfsmittel in dieser Form so nicht übernommen wird. Es war immer ein Abwägen von Dringlichkeit, Notwendigkeit, Kosten und der Verfügbarkeit von finanziellen Mitteln.
Ein einfaches Beispiel ist mein privat finanziertes Pflegebett. Die Modelle der Krankenkassen sind nicht annähernd optisch und funktionell so ansprechend und leistungsfähig wie das, was Hersteller für privat zahlende Kundschaft im Angebot haben. Wer sich also freut, dass die pflegebedürftige Omi ein vermeintlich bequemes Pflegebett von der Krankenkasse gestellt bekommt und denkt, das wäre ein Upgrade für die Oma, der sollte sich vielleicht mal zwei Tage regungslos in eben dieses Himmelsbett legen, vielleicht erdet das.
Die Krankenkassen zahlen in der Regel und im Schnitt eine Pauschale an das zuständige Sanitätshaus von 500 Euro für zwei Jahre für ein Pflegebett. Darin enthalten sind der Bettrahmen mit einem meist äußerst ansprechenden Holzdekor, die elektronisch verstellbare Liegefläche, ein Bettgalgen, eine Matratze, der Auf- und Abbau, die Kosten für einen Umzug, alle Reparaturen, die Desinfektion bei Wiederverwendung, die Fahrtkosten und die Lager- und Verwaltungskosten. Natürlich kann man sich noch zusätzlich eine bessere Matratze verschreiben lassen, dann gibt es noch einen Obolus, der aber kaum für Qualität reichen dürfte, selbst bei noch so guten Einkaufkonditionen des Sanitätshauses. Zum Vergleich: eine Tempur Matratze kostet rund 900 Euro und selbst mit Obolus zahlen die Kassen für das gesamte Bett plus Matratze weniger. Wenn sich Omi also nicht vorher auf Moos und Reisig auf dem Stallboden gebettet hat, dürfte es eher ein Downgrade sein als ein Upgrade.
Das kreide ich in diesem Fall weder der Krankenkasse direkt an noch dem Sanitätshaus, denn deren Mitarbeiter leben auch nicht nur von Luft und Liebe und dass nicht jeder optische Wunsch erfüllt werden kann, ist verständlich. Es ist aber ein Beispiel von vielen, wo das Problem von Pauschalen sichtbar wird. Vom Prinzip hat das Abrechnungssystem gute Ansätze, jedoch treiben die Pauschalen Stilblüten und gehen am tatsächlichen Bedarf vorbei. Geld siegt über Gesundheit und schafft falsche Anreize. Wenn wir mehr Knieoperationen machen, die vermeidbar, aber lukrativ sind, dann wird man vom Patienten zum Renditeobjekt. Ärzte sind über Maß mit der Verwaltung beschäftigt, anstatt mit ihren Patienten und dürften sich manchmal fühlen wie das Kassenpersonal im Großhandel.
„Guten Tag und herzlich willkommen im Krankenhaus. Bitte legen Sie Ihre Diagnosen aufs Band.“
Venentrombose - F63 – BIEP
Koronararteriosklerose – F66 – BIEP
„Tina, wat kosten denn die Hirnschläge ohne alles, mit Fahrt über die Wupper?“ - „B70H“
Apoplexie ohne neurologische Komplexbehandlung, verstorben < 4 Tage nach Aufnahme - B70H – BIEP
„Vielen Dank für Ihren Einkauf. War alles zu Ihrer Zufriedenheit? Hier noch ein Flyer unserer neuen Implantate, die wir jedem gerne ans Herz legen wollen, oder an die Hüfte. Grüß Gott!“
Wir sollten uns überlegen, was uns die Würde eines Menschen wert ist. Eine Aufgabe für uns alle und im Speziellen an Parteien, Konzepte für unsere Zukunft zu entwickeln, die das Wohl jedes Einzelnen im Fokus haben und nicht nur das von Unternehmen.
Unser kleines Glück ist somit hart erarbeitet und zum Teil käuflich erworben. Ich bin dem lieben Gott und meinem Arbeitgeber sehr dankbar, dass wir das bis jetzt finanziell im Tagesbetrieb irgendwie alles hinbekommen. Gerade aber am Anfang kamen zeitgleich sehr große Belastungen auf uns zu und wir wurden Dankenswerterweise durch Freunde, Vereine und viele helfende Menschen unterstützt. Anders wären die vielen behindertengerechten Umbauten am und ums Haus unmöglich gewesen.
Ich kann und will nicht klagen. Ich habe auch absolutes Verständnis für einkommensabhängige Grenzen der finanziellen Unterstützung durch unsere Solidargemeinschaft. Nicht, dass jedoch der Eindruck entsteht, dass Glück nur eine Sache des Geldes ist. Ein privat finanziertes Pflegebett löst kein einziges Problem, welches uns mit der Krankheit ALS ungefragt in unseren Lebensweg gelegt worden ist. Es schafft nur keine zusätzlichen Probleme. Leider gibt es auch keine brauchbaren offiziellen Beratungsstellen, die umfassend bei atypischen Pflegefällen beraten können und alle Möglichkeiten der Unterstützung kennen und den Überblick haben, was man wann, wo und wie beantragen kann oder sollte. Umso wichtiger ist diesbezüglich die Arbeit von Vereinen und die Unterstützung dieser Vereine.
Es gibt einen weiteren Punkt, den man beachten sollte, zumindest empfinde ich das so: Die Diagnose ALS bedeutet nicht, dass zukünftig die gebratenen Tauben in den Mund geflogen kommen und sie sich kurz vor der Landung noch selbst pürieren. Es ist und bleibt mein Leben, für das ich weiterhin voll verantwortlich bin und auch sein will. Mit der Diagnose geht weder eine Heiligsprechung einher noch der berechtigte Anspruch, von der Solidargemeinschaft mit einer Sänfte mitleidig gehuldigt durch mein Restleben getragen zu werden.
Die Opferrolle ist mir zuwider. Ich habe auch volles Verständnis dafür, dass man mir gegenüber Unsicherheiten im Umgang zeigt und dass man die Problemstellungen eines ALS-Patienten und seines direkten Umfelds nicht direkt überblickt. Das ist okay, das darf man auch gern sagen. Zum Glück ist die ALS keine Erkrankung von der Stange und eher selten anzutreffen. Vielleicht helfen meine Beiträge auch, unsere Herausforderungen besser zu verstehen.
Selbst Ärzte oder Pflegepersonal treffen selten auf eine körperlich dermaßen derangierte Ruine menschlichen Daseins, welche vollgepackt mit Hightech und glasklarem Verstand ihnen mit einer Computerstimme trotz fast vollständiger Lähmung ein freundliches Servus entgegnet. It’s magic. Da kann man sein Gegenüber durchaus verstehen, wenn es zwischen Betroffenheit, Neugierde, Faszination und Angst Wechselbäder nimmt und denkt, jetzt keinen Fehler machen und nix unpassendes sagen. Mir wäre das vor kurzer Zeit auch noch so ergangen, und nur weil ich an einem unfreiwilligen Schnellkurs „In 90 Tagen nach Diagnose zum Pflegefall“ erfolgreich teilgenommen habe, macht mich das nicht zum Richter über korrektes, von mir persönlich für adäquat befundenes Kommunikationsverhalten meiner Person gegenüber. Ich schweife mal wieder ab und bitte um Nachsicht.
Jetzt habe ich viel geschrieben, aber nur wenige Hilfsmittel genannt. Es so viele geniale Hilfsmittel und dafür bin ich den Entwicklern und Herstellern höchst dankbar. Eine sehr gute und ausführliche Übersicht der Hilfsmittel bei ALS hat Bruno Schmidt erstellt. Auf seinem YouTube-Kanal, den ich wärmstens empfehlen kann, stellt er diese ausführlich vor und informiert umfassend rund um das Thema ALS. Die von Bruno genutzten Hilfsmittel sind fast vollständig die gleichen, die ich auch nutze.
Es gäbe viele Möglichkeiten, die Unterstützung für Betroffene einfacher, unbürokratischer, schneller und zielgerichteter zu Gestalten. Und ja es stimmt, im internationalen Vergleich geht es Betroffenen in Deutschland besser als anderswo und dafür bin ich uns allen sehr dankbar. Das sollte aber nicht Messlatte sein. Wir haben nun mal einen Sozialstaat und einen Deal mit den gesetzlichen Krankenkassen: Alle zahlen ein, und wer Hilfe braucht, dem wird nach dem Solidarprinzip geholfen. Und nicht: Einzahlen okay, aber bei Bedarf bitte betteln. Das ist demütigend für die Betroffenen und asozial von den Kassen. Leider ist das aber in Deutschland gängige Praxis.
Missbrauch von Leistungen verhindern, ja, aber gefühlt organisiert und vorsätzlich zu versuchen Betroffene zu prellen, die eh schon mit dem Rücken an der Wand stehen und unsere Fürsorge benötigen, Freunde, das geht so nicht. Wie gesagt, das trifft nicht auf jeden Fall, jeden Antrag, jeden Mitarbeiter und jede Kasse zu, jedoch ist es keine Seltenheit. Leider. Sollten Sie ein Entscheider rund um diese Thematik sein, so hoffe ich, dass das Verständnis für die Betroffenen nun gemehrt wurde und Sie zu einer Verbesserung der Situation beitragen. Diese Praxis ist nicht in Stein gemeißelt und die Summe vieler kleiner Entscheidungen macht häufig den Unterschied. Nutzen wir unsere Möglichkeiten und Chancen. Die Entscheidung liegt bei jedem von uns selbst.