[ m a d e b y e y e s ]
Wie ich bereits berichtete, sind bei der letzten Verlaufskontrolle meiner Lungenfunktion vor drei Monaten, ziemlich bescheidene Werte rausgekommen. Die Vitalkapazität ist auf rund 35% gefallen. Grob gesagt bedeutet das, dass ich bei bewusster maximaler Ein- und Ausatmung, nur noch 35% der Menge an Luft bewegen kann, die ich im Vergleich zur Norm pumpen können sollte. Ich bin somit abnorm. Grundsätzlich kann man sagen, dass sobald die Schwelle von 50% unterschritten wird, die Luft sprichwörtlich dünner und künstliche Beatmung bei der ALS ein Thema wird. Nun bin ich im Lungenlimbodancing in die Profiliga eingestiegen und habe mich mit meinem persönlichen Negativrekord, souverän für die Beatmung qualifiziert. Allein was fehlt, ist die Begeisterung.
Es folgte nach der Verlaufskontrolle, eines dieser besonderen Arztgespräche. Besonders deswegen, weil sie emotional im Grenzbereich des Erträglichen liegen. Das Gespräch fand in einem winzigen Raum statt, der kaum Platz für meinen Rollstuhl bot und aufgeheizt durch die pralle Sonne war, die gnadenlos durch das gekippte Fenster schien. Es war Ende Juni. Das Gespräch war, bis auf die nervigen Unterbrechungen durch Telefonate, in Ordnung. Mal wieder haben mir Kekse gefehlt. Es war Mittagszeit und mich plagte ein Hüngerchen. Die Telefonate nahmen einiges an Dramaturgie aus der Unterhaltung, vielleicht war das aber gar nicht so schlecht.
Der Arzt hat meiner Frau und mir die Ergebnisse erläutert und wie er es nannte „jetzt mal Tacheles“ geredet, vor allem in Bezug auf das, was uns denn erwartet oder auch, je nach unserer Entscheidung, vielleicht nicht mehr erwartet. Für mich gab es hier keine neuen Erkenntnisse, auch habe ich mittlerweile ein dickes Fell. Doch die Betroffenheit und emotionale Fassungslosigkeit meiner Frau in diesen Situationen, erschüttert mich jedes Mal wieder bis ins Mark. Das geht unter mein Fell und macht mich hilflos. Bin ich doch der Grund für ihre Tränen und vermag nichts daran zu ändern. Ich kann sie nicht einmal tröstend in den Arm nehmen, nur meine knochige Schulter zum Anlehnen anbieten.
Im Ergebnis hat das erneute Rekapitulieren der Optionen bei uns zu keiner Änderung unserer Haltung zu lebensverlängernden Maßnahmen geführt. Wir machen alles was geht. Wir leben in der Hoffnung, dass es vielleicht eine Lösung des Problems geben wird, der Verlauf sich stark verlangsamt oder im besten Fall zum Stillstand gebracht wird. Wir haben doch eigentlich noch so viel Leben auf der Uhr. Somit willigten wir ein, mit der Beatmung zu beginnen. Nun war es soweit: es ging die letzten drei Tage in die Uniklinik, um mit der Einleitung der Atemtherapie zu beginnen, und ich habe täglich ein kurzes Update bei Facebook und Instagram online gestellt.
Instagram ist neu. Facebook hatte ich schon länger und dann folgte vor kurzem der Blog. Nun kam noch Instagram dazu. Vielleicht erhöht es die Reichweite und die Sache, der Kampf gegen die Krankheit ALS, bekommt weitere Mitstreiter. Mit dem Handling von Instagram, muss der Herr Diplominformatiker erst warm werden. Es dauerte ein wenig, bis ich glaubte verstanden zu haben, wie Instagram tickt. Ich stelle fest, ich werde alt. Ein schönes Gefühl. Auch ist die Fotobearbeitung ziemlich erschwert, wenn einem dafür nur die Augen zur Verfügung stehen.
Nach meinem Empfinden ist Instagram eine Plattform zur Selbstbeweihräucherung. Es werden „Follower“ gesammelt, die dann deine Bilder „liken“ und im besten Falle macht man den „Postenden“ tatsächlich damit eine Freude. Doch viele der Folgenden erhoffen sich nur, dass man ihnen selber folgt und ihre Bilder Applaus finden, damit sie dann mit poliertem Ego besser einschlafen können. Ein Streben nach Popularität. Dazu wird alles in Szene gesetzt, was man hat oder eben nicht hat, aber gerne hätte. Anscheinend ist der gefällige Selbstbetrug, das Dope von heute. 2010 ging Instagram online und wurde zwei Jahre später für 737 Millionen US-Dollar an Facebook verkauft. Respekt. Ich wollte gerade noch einen Satz mit „Früher hatten wir…“ beginnen; ich werde wirklich alt.
Aber ich muss auch zugeben, es macht Spaß, es ergeben sich nette Kontakte und man bekommt durchaus schöne Ansichtssachen geboten, die mir gefallen. Turmspringen ist ja auch sinnfrei. Warum klettern Menschen auf einen Sprungturm, nur um dann wieder postwendend runter zu springen? Weil es Spaß macht. Und noch schöner ist es, mit Applaus aus dem Becken zu steigen. Also doch nicht sinnfrei, sondern eher etwas für die Sinne.
Aber schauen Sie jeden Tag Turmspringen und Applaudieren den Springern? Eher unwahrscheinlich. Facebook und seine Artgenossen nehmen teilweise bedenklich viel Raum im Leben von immer mehr Menschen ein. Viele Stunden werden hier versenkt und teilweise vernebelt sich der Blick für die Realität. Es wird nur noch konsumiert, was gefällt, und die Katze beißt sich informativ in ihren eigenen Schwanz. Wir informieren uns unausgewogen, haben aber ziemlich viel Meinung in Anbetracht des Umstands, dass wir teilweise ziemlich wenig Ahnung haben. Bei unausgewogener Ernährung gibt es Ernährungsberater. Es wird Zeit für professionelle Informationsberater. Vielleicht wäre es auch ein erster Schritt, wenn sich Fernseh- und Radiosender ihrer Verantwortung bewusstwerden und weniger Schrott im Programm hätten und anstatt dessen, bildende Inhalte verbreiten würden. Nur weil es Konsumenten gibt, legitimiert das in keiner Form den Drogenhandel. Drogenhandel verbieten zum Schutze aller per Gesetz. Wir achten ja auch auf unser Trinkwasser und geben Grenzwerte vor. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich will keinem verbieten, frei über die grüne Medienspielwiese zu laufen, aber vielleicht sollten Schilder aufgestellt werden: „Hunde sind an der Leine zu führen“ und „Diese Wiese ist kein Klo!“ und das sollte auch für den bewirtenden Bauern gelten. Ich schweife wieder aus. Zurück zu Instagram.
Für mich bietet Instagram die schöne Möglichkeit, komprimiert in Bildern zu zeigen, was diese elende Erkrankung in kürzester Zeit kaputt macht, wie sich unser Leben massiv verändert hat und mir dennoch jeder Tag viel Lebensfreude bereitet. Doppelkreuzmarkierung: #standandfight. Bilder sagen mehr als tausend Worte.
Gerne können Sie mir auf Instagram ein Stück auf meinem Lebensweg folgen, ich würde mich freuen. Zugegebenermaßen marschieren wir derzeit in Richtung Abgrund, aber wir schauen auch ab und an zurück auf meinen bisherigen Weg. Und versprochen, sollten wir dem Abgrund nahekommen, Sie dürfen stehen bleiben und müssen nicht springen. Ich hoffe das für mich selbst im Übrigen auch.
Zurück ins Krankenhaus: Die letzten drei Tage war ich ambulant im Universitätsklinikum des Saarlandes. Ich war im Atemzentrum und im Schlaflabor. Normalerweise wird die Einleitung einer Beatmung stationär gemacht. Dies ist wie man sieht kein Dogma, sondern obliegt der Entscheidung des Arztes. Ich bin sehr froh, dass ich nicht einrücken musste, sondern nur ein tägliches Stelldichein hatte, ohne gemeinsames Frühstück. Eingestellt wurden Hustenassistent und Beatmungsgerät. Diese drei Tage waren absolut unspektakulär und nicht unangenehm. Im Vergleich zu meinen bisherigen Krankenhausaufenthalten, war es Erholungsurlaub für die Lunge.
Am ersten Tag wurde eine ambulante Polygraphie durchgeführt. Hierzu gab es ein mobiles Aufnahmegerät mit nach Hause, das den Schlaf aufzeichnet. Dieses wird vor dem zu Bett gehen um die Brust geschnallt, dann noch einen Pulsoxymeter an den Finger klemmen, kleinen Schlauch unter die Nase und fertig ist die Laube. Taugt nicht zum Kuscheln, aber es sind nur zwei Nächte. Diese kleine Apparatur sammelte diverse Informationen während des Schlafs. Am nächsten Tag folgte die Auswertung. Das Ergebnis war nicht katastrophal, aber es zeigte Handlungsbedarf. Ich habe bis jetzt weder Atemnot, noch sind meine Blutgase im Keller, dennoch ist es an der Zeit, sich jetzt dem Thema Beatmung anzunehmen, bevor es vielleicht eines unschönen morgens zu spät ist und ein Kaffee weniger gekocht werden kann. Better safe, than sorry.
Daraufhin wurde ein Beatmungsgerät für meinen Bedarf, basierend auf den Werten der Verlaufskontrolle und der letzten Nacht, konfiguriert und wir bekamen es erklärt. Keine Raketentechnik. Wer es detailliert mag: BiPAP mit AVAPS kommt zum Einsatz.
Als nächster Programmpunkt, wurde zusammen mit einer gut gelaunten Physiotherapeutin, der Einsatz des Hustenassistenten geübt. An dieser Stelle nochmal lieben Dank an die nette Therapeutin. Ich habe den Namen vergessen, aber Sie sollen wissen: Es war zwar nur kurz, aber schön. Anstatt eines Hustenassistenten wollte ich ja lieber eine Assistentin, gab’s leider nicht. Jetzt haben wir Otto im Haus. Den Hustenassistenten empfinde ich als angenehm und hilfreich. Man muss es zulassen und darf nicht blockieren, körperlich sowie vom Kopf her. Alles Ansichtssache.
Die zweite Nacht kam nochmal das mobile Aufnahmegerät zum Einsatz, aber diesmal mit Beatmungsgerät. Es erforderte auch hier nur wenige Minuten und ich konnte mich auf die Beatmung einlassen. Danach kam ein sehr entspannendes Gefühl auf. Ich wurde quasi gelüftet, mit Luft geflutet und optimal versorgt. Ohne irgendeine Anstrengung, einfach nur durchatmen und relaxen. Zudem wird meine Atemluft auf Wunsch befeuchtet. Ich empfinde es als luxuriöse Wellness. Der Sound ist nicht störend und meine Frau kann dabei gut schlafen. Auch der Hund schläft durch. Ein Spaß für die ganze Familie. Nun ist die angenehm klingende Ava, zur nächtlichen Begleiterin geworden.
Am nächsten Tag ging es dann mit dem Polygraphen zurück in die Klinik zur Auswertung. Es folgte ein sehr gutes Arztgespräch mit Klaus (das ist mein augengesteuerter Sprachcomputer) und mir. Mit Ava sind alle Werte top. Geschafft, raus aus dem Schuppen. Nächster Termin ist in drei Monaten: Verlaufskontrolle und Justierung des Beatmungsgerätes, um sich dem Verlauf anzupassen.
Vor einem Jahr konnte ich noch vieles selbstständig machen und auch noch verständlich sprechen. Nun liege ich da, werde beatmet und spreche mit Klausis Stimme. Kann mich nicht mal am Kinn kratzen. Das bedeutet auch, dass ich diese Maske allein nicht vom Kopf bekomme. Das ist in keinem Fall ein Problem, außer bei Erbrechen, sollte es niemand bemerken. Somit muss ich wohl in Zukunft auf Surströmming und Komasaufen verzichten.
Ich kann jedem Betroffenen nur dazu raten, frühzeitig in das Thema Beatmung einzusteigen, so denn dies ein gewünschter Weg ist. Studien empfehlen den frühzeitigen Einsatz zugunsten einer verlängerten Lebenserwartung. Entlastet eure Atemmuskulatur. Wer früher pumpt, hat länger Luft.
Ein Punkt ist noch offen: Wie sag ich‘s meinem Kinde? Unser Filius wird bald drei Jahre alt. Unfassbar wie schnell die Zeit vergeht. Nun war die Überlegung, ob wir es erst spielerisch vortanzen. Aber tanzen geht nicht mehr und im Rollstuhl bin ich nicht so expressiv, fällt somit aus. Also ist der kurze Mann vorsichtig an der Hand von Mama ins Schlafzimmer geschlichen und hat nach kurzer Einwirkzeit seine Mama gefragt, warum der Papa eine Maske trägt. „Damit Papi besser atmen kann, mein Schatz“. Es folgte eine kurze Pause und dann meinte er freudig: „Wie der Feuerwehrmann!“. Es folgte ein erleichtertes Lachen aller Beteiligten mit anschließender Inspektion von Papa mit Maske. Das ist viel für den Kurzen, was er in seinem noch jungen Leben verarbeiten muss. Er macht das toll. Mit Liebe geht alles. Später fragte er uns dann, ob wir auch eine Kindermaske für ihn zum Spielen hätten. Er hat meinen Humor geerbt.
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